Montag, 12. März 2018

Rezension | "Marie" von Steven Uhly

btb | Taschenbuch | 272 Seiten | 12. Februar 2018 | 978-3-442-71552-7

"Sie ist an ihr Bett gefesselt und muss sich selbst wahrnehmen. Und was sie wahrnimmt, erträgt sie kaum." //
Seite 243
Der zwölfjährige Frido erzählt seiner kleinen Schwester Chiara eine aufwühlende Gutenachtgeschichte. Sie handelt von einem alten Mann, der ein Baby stiehlt. Als Chiara kurz darauf ihrer Mutter davon erzählt, reagiert diese schockiert. Im Affekt schlägt sie ihre Tochter. Von diesem Moment an gerät die kleine Familie aus dem Gleichgewicht. Veronika Kelber reibt sich auf zwischen ihrem Leben als Alleinerziehende und dem Anspruch, eine gute Mutter zu sein. Und dann ist da noch der Schmerz einer unsichtbaren Wunde, Schuldgefühle und die Erinnerung an ein furchtbares Versagen...

 
Marie stammt aus der Feder von Steven Uhly und erzählt eine ganz alltägliche Geschichte: Die drei Kinder Frido, Mira und Chiara leben bei der Mutter Veronika, nachdem die Eltern sich getrennt haben. Leo, der Vater, spielt zwar eine Rolle im Leben der Kinder, aber er ist auch nicht unbedingt die Vaterfigur, die man sich wünscht. Beispielsweise sucht er sich aus, wann ihn welches Kind an welchem Wochenende besuchen darf – am liebsten Frido und Chiara, am wenigsten lieb Mira. Veronika ist allerdings als berufstätige Mutter vollkommen überfordert, hängt noch sehr an ihrem Ex-Mann und überträgt gerne die Verantwortung auf Frido. Der allerdings selbst erst 12 Jahre ist. Daraus ergeben sich vermehrt schwierige Situationen, vor allem dann, als Frido seiner kleinsten Schwester Chiara eine Geschichte über ein Baby namens Marie erzählt, das vor einigen Jahren in eine Mülltonne geworfen wurde.

Besonders aufgefallen ist mir bei Marie der Stil. Ich fand es ausgesprochen erfrischend, mal wieder ein Buch in den Händen zu halten, bei dem nicht alles schwarz auf weiß da steht, sondern man auch hinter und zwischen den Zeilen lesen muss. Die Geschichte rund um das Baby Marie und warum Frido dies seiner kleinen Schwester erzählt, wird nie wörtlich aufgelöst, ebenso wenig wie die Hintergründe oder wer welche Rolle in dem Drama gespielt hat. Was den Leser dazu zwingt, selbst kreativ zu werden und sich das Szenario, von dem gesprochen wird, in eigener Weise vorzustellen. Ich hatte während des Lesens die ganze Zeit den Eindruck, dass Steven Uhly seinen Lesern immer mal wieder ein Puzzle-Stück zuschiebt und den ungefähren Platz angibt – zusammensetzen musste man allerdings selbst. Meiner Meinung nach ist Marie daher keine einfache Unterhaltungsliteratur für zwischendurch, sondern ein Werk, mit dem man sich beschäftigen muss und das dadurch auch lange im Gedächtnis bleibt.

Auch der Aufbau der Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Es werden viele alltägliche Situationen beschrieben, aber auch dramatische, übertriebene, die eine gute Kombination beim Erzählen des Plots ausmachen. Veronikas Überforderung wird sehr gut deutlich, ebenso wie die schwierige Beziehung zwischen der kleinen Familie und dem Vater – was die ganze Geschichte rund um Marie noch viel mysteriöser und geheimnisvoller erscheinen ließ. Vor allem, da Frido die Geschichte erzählt, aber selbst nicht alle Hintergründe und Geschehnisse weiß.

Alle Charaktere und Figuren in der Geschichte haben einen Eindruck bei mir hinterlassen können. Natürlich haben manche mehr Ecken und Kanten, manche sind schon im Grunde unsympathisch dargestellt und andere sind ganz eindeutig die Helden in der Geschichte, aber trotzdem fand ich den Mix aus unterschiedlichen Protagonisten sehr gut. Gerade die drei Kinder sind so schutzbedürftig und liebenswürdig dargestellt, dass es mir in der Seele Leid tat, was sie durchmachen müssen, vor welche Herausforderungen sie gestellt werden und welche große Verantwortung schon auf ihren Schultern liegt. Ich selbst habe keine Kinder, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das Lesen von Marie für eine Mutter sehr aufwühlend sein kann. 

"Schuld" daran ist natürlich auch der Schreibstil von Steven Uhly. Die tollen Beschreibungen des Umfelds und dessen, was den Kindern fehlt oder was ihnen durch ihre verantwortungslosen und überforderten Eltern verwehrt wird, war auf der einen Seiten fast schon grandios, auf der anderen Seite wirklich starker Tobak. Steven Uhly lässt den Leser dabei in eine Welt eintauchen, die hinter verschlossenen Haustüren stattfinden kann (und wahrscheinlich auch stattfinden wird), ohne dabei ein Blatt vor den Mund zu nehmen oder den Leser zu schonen. Das hat mir sehr gut gefallen. Denn es zeigt nicht nur, welche Abgründe sich in manchen Familien auftun und wie sehr das System versagen kann, es zeigt auch, wie abhängig wir in jungen Jahren von der Erziehung, dem Halt, der Geborgenheit und letztlich auch der Liebe unserer Eltern sind – und wie uns das letztlich auch formt bzw. formen kann.

Trotz der durchweg sehr guten Kritik, bekommt das Buch von mir "nur" 4 Sterne, weil mir der letzte Pfeffer gefehlt hat und ich mir auch das Ende ein bisschen stärker gewünscht hätte. Aber Marie ist eine sehr berührende Geschichte, die mir direkt ans Herz gegangen ist und mir durch die Alltäglichkeit der Situationen sehr echt vorkam. Deshalb bekommt das Werk von Steven Uhly auch von mir eine dicke Leseempfehlung.


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Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.
Habt ihr Marie schon gelesen?
Steht es auf eurer Wunschliste?
Ich wünsche euch einen schönen Tag!

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